Mittwoch, 28. August 2013

Immer das Gleiche

Als ich Montag gegen Mittag mein Rad von einer Laterne schloss, kam ein kleiner, sehr blasser Mann auf mich zu. Verwahrlost sah er nicht aus, sehr, sehr blass allerdings, seine weißen Beinchen steckten in kurzen, dunkelblauen Bermudashorts. Auf dem Rücken trug er einen Rucksack.
Vielleicht wollte er mich ja nach dem Weg fragen?

Ich guckte ihn an. Er war wirklich sehr bleich. Wie Buttermilch und Spucke.
Er sagte: Verehrte Frau.
Dann begann er mir seine Geschichte zu erzählen. Vor ein paar Tagen aus dem Gefängnis entlassen, die paar Euros, die sie ihm dort mitgegeben hatten, naja, das war nicht so viel. Von denen hätte er sich besoffen, sagte er. Und volle Kanne vor ein Auto getorkelt. Peng. Krankenhaus. Nur wenige Euros noch, naja, den Rest auch versoffen, wegen Kater den Termin mit seiner Bewährungshelferin verpasst, die mit ihm zum Arbeitsamt gehen wollte. Jobvermittlung und so. Kam ja alles anders. Jetzt gar kein Geld mehr und keine Bleibe und alles scheiße. Ob ich ihm helfen könne? Gerne würde er seine verkackte Story nicht preisgeben, total peinlich, aber hilft ja alles nichts...

Vor unserer Begegnung hatte ich gerade bei fluxfm mein Buchprojekt vorgestellt und das crowdfunding, über die die Finanzierung des Buches mitgetragen werden soll. Nadine Kreutzer, die Moderatorin, hatte in ihrer Radiosendung ordentlich die Werbetrommel für die wartenden Hunde gerührt.


Eigentlich tat ich ja auch nichts anderes als betteln, dachte ich, als ich dem Mann nun zuhörte.
Seine Ehrlichkeit fand ich mutig, kein Rumgeeier und blank von der Leber weg.
Das beeindruckte mich.
In letzter Zeit verteile ich manchmal vom Fahrrad aus Flyer an Leute mit Hunden. Und auf meiner Morgenrunde. Ohne Rad. Alles für das Buch und mit kurzer Ansprache.

Ich promote mich. Er promotet sich.
Jeder auf seine Art. Mal mehr, mal weniger erfolgreich. Alle in einem Boot.
Alles im Fluss. Und wenn ich nichts gebe, kriege ich auch nichts.

Ich gab ihm ein zwei Eurostück. Zu sagen, dass das auch für mich nicht wenig Geld war, verkniff ich mir und schämte mich, dass ich ihm nicht den Fünferschein in die Hand gedrückt hatte, der noch in meinem Portemonnaie steckte.
Dann ging und fuhr jeder seinen Weg.




Tags drauf – von heute aus gesehen gestern – und beide in den gleichen Klamotten wie tags zuvor, sah ich ihn in der Sanderstraße.
Ich erkannte ihn schon von Weitem. Er redete mit einer Frau. Komisch, warum sahen seine Beinchen heute so sonnengebräunt aus? Auch sein Gesicht war nicht ganz so bleich, wie in meiner Erinnerung.
Gestern bestimmt schlimmen Kater gehabt. Wäre ja gut, wenn es ihm besser ginge.

Als ich mich den beiden näherte, hörte ich, dass er der Frau die gleiche Geschichte wie tags zuvor mir erzählte. Sie schüttelte ihren Kopf. Und ging.

Er fluchte. Und sprach mich an.
Ich schüttelte meinen Kopf und grinste.
Er fing an zu kreischen, wie bekackt die Leute doch drauf wären, dass alle in ihrem Wohlstand verrecken sollten und dass ich voll die blöde Schlampe sei.
Ich hielt an. Drehte mich um.
Sie haben gestern etwas von mir bekommen, sagte ich.
Er schrie: Ach nee, gestern, wann und wo soll das denn gewesen sein? Und dann noch ein Schimpfwort.
Um 11.30h in der Pfuelstraße, erwiderte ich sehr höflich. 
He? Ach, die paar Kröten, glaubste (Schimpfwort) davon kannich leben (Schimpfwort)?
Ich hielt ausnahmsweise mal meinen Mund. Und ging weiter. Alles im Fluss.

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