Er bedeckte die kahle Stelle seines Hinterkopfes mit einer Schallplatte. Ich starrte aus meinem Atelierfenster auf die Scheibe hinunter, strich Ölfarbe von den Händen am Kittel ab und hockte mich auf eine leere Kiste vor die Staffelei. Der Plattenmann war vor einigen Monaten weggezogen, lebte jetzt in der Hauptstadt, irgendwo in der echten Szene.
Ich hatte nicht gedacht, dass wir uns noch einmal treffen würden und seinen Namen vergessen.
Wir lernten uns beim Kickern in der Bar nebenan kennen. Damals träumte ich noch davon, dass alle Männer weiße Oberhemden trügen. Plattenmann fiel mir auf, weil er als einziger eines an hatte.
Am Eröffnungstag der Bar kickerte ich mit Dirk und Berit. Plattenmann guckte uns eine Weile zu, grabbelte dann an meinen Ohren rum, drehte einen Ohrring, bis in meinem Läppchen eine Überdrehtfalte war und fragte: „Selbst geschweißt?“ Dirk kicherte und Berit säuselte, dass ich den nehmen soll, wir würden ein gutes Doppel abgeben. Als er seine Hände an die Griffe meiner Mannschaft legte, stoben Funken. Beim ersten Kuss sagte ich ihm, dass dieses Gefühl so sei, als könnten wir die Ostsee mit einem einzigen Satz überspringen.
Und nun? Schritte im Treppenhaus. In Malerkittel und kaputter Lederimitathose aus Plastik wollte ich ihm nicht begegnen. „Tod in Venedig“ stand auf meinem T-Shirt. Und ein Fisch, der einen Fuß im Maul hat, war drauf. Ich wäre jetzt gern in Venedig gewesen, war aber hier und suchte deshalb in meinem Werkzeugkoffer nach dem Lötkolben, um meine Hose zu reparieren. Es klappte nicht. Das Loch in meiner Hose wurde größer, war bald so groß geschmolzen, dass meine rechte Pobacke und ein Teil meiner Unterhose, sichtbar wurden. Was jetzt? Ich könnte die Kult-Tüte von Esso opfern und mir meine Lieblingstüte auf das Loch in meiner Plastikhose, um Hintern und Unterhose zu bedecken, löten. Wo war die Tüte bloß? Ich fand sie unter dem Zeichentisch im Lappenkarton und schmolz sie von innen an die kruscheligen Lochränder der Hose. „Hallo, hallo?“, rief ein Mann vor der Tür. Vor Schreck stülpte ich mir den Karton über den Kopf, ging in die Knie, auf den Boden und sprang nach kurzer Schockstarre hoch und in die Hose. Da stand er auch schon im Türrahmen.
„Perfekte Schweißnaht“, sagte Plattenmann und zeigte auf mein Hinterteil. „Das ist eine Lötnaht“, sagte ich. − „Macht das einen Unterschied?“, fragte er. − „Macht es einen Unterschied, wenn ich ,Ostsee’ sage, aber den ,Isenhagener See’ meine“, fragte ich zurück. − „Alles ist relativ“, kofferte er.
Blöde Antwort, dachte ich und dass wir es sicher nicht mal mehr über die Jauchekuhle von Onkel soundso schaffen würden. „Irgendwie bin ich müde, jammerte ich.“ − „Du bist sicher nur benebelt vom Terpentin“, beruhigte er mich und sagte, dass er das Gefühl hätte, sogar mein Atem würde nach Malmittel riechen. Ein Kompliment? „Kommst du mit zum Eishockey?“, fragte er. Ich mochte das Geräusch an die Banden knallender, gepolsterter Männer und sagte: „Klar.“ Wir fuhren in seinem 320er-BMW ins Aue-Stadion und zogen unterwegs ungesundes Zeugs durch einen Duschschlauch. Im Stadion schob Plattemann, der eigentlich Jörg oder Wolfgang oder Frank hieß, seine Hand unter meinen Hintern, zur Esso-Tüte.
Oder war das mit der Hand Einbildung? Ich guckte stur geradeaus auf das Spiel, denn hätte ich meine Einbildung kommentiert, hätte Jörg seine Hand womöglich weggezogen. Und wäre seine Hand gar nicht dort gewesen, wo ich sie vermutete, käme mein Kommentar bei ihm womöglich wie ein plumper Baggerversuch an. Ob man von Plastiktüten Schwitzehände bekam? Ich beugte meinen Oberkörper nach vorn. Wolfgang fragte, ob ich etwas verloren hätte. Ich grinste und wusste genau, dass ich dämlich aussah, weil mein Mund trocken war und meine Oberlippe auf den Zähnen festklebte. Ich zog sie wieder über meine obere Zahnreihe. Eishockey finde ich uninteressant, wollte ich gerade sagen, da schrie Frank „Tor“.
Viel anders als Fußball war das hier auch nicht, nur, dass ich beim Fußball die Regeln kenne und mir die Spielernamen merken kann. Aber was sind schon Namen?
Ich hatte nicht gedacht, dass wir uns noch einmal treffen würden und seinen Namen vergessen.
Wir lernten uns beim Kickern in der Bar nebenan kennen. Damals träumte ich noch davon, dass alle Männer weiße Oberhemden trügen. Plattenmann fiel mir auf, weil er als einziger eines an hatte.
Am Eröffnungstag der Bar kickerte ich mit Dirk und Berit. Plattenmann guckte uns eine Weile zu, grabbelte dann an meinen Ohren rum, drehte einen Ohrring, bis in meinem Läppchen eine Überdrehtfalte war und fragte: „Selbst geschweißt?“ Dirk kicherte und Berit säuselte, dass ich den nehmen soll, wir würden ein gutes Doppel abgeben. Als er seine Hände an die Griffe meiner Mannschaft legte, stoben Funken. Beim ersten Kuss sagte ich ihm, dass dieses Gefühl so sei, als könnten wir die Ostsee mit einem einzigen Satz überspringen.
Und nun? Schritte im Treppenhaus. In Malerkittel und kaputter Lederimitathose aus Plastik wollte ich ihm nicht begegnen. „Tod in Venedig“ stand auf meinem T-Shirt. Und ein Fisch, der einen Fuß im Maul hat, war drauf. Ich wäre jetzt gern in Venedig gewesen, war aber hier und suchte deshalb in meinem Werkzeugkoffer nach dem Lötkolben, um meine Hose zu reparieren. Es klappte nicht. Das Loch in meiner Hose wurde größer, war bald so groß geschmolzen, dass meine rechte Pobacke und ein Teil meiner Unterhose, sichtbar wurden. Was jetzt? Ich könnte die Kult-Tüte von Esso opfern und mir meine Lieblingstüte auf das Loch in meiner Plastikhose, um Hintern und Unterhose zu bedecken, löten. Wo war die Tüte bloß? Ich fand sie unter dem Zeichentisch im Lappenkarton und schmolz sie von innen an die kruscheligen Lochränder der Hose. „Hallo, hallo?“, rief ein Mann vor der Tür. Vor Schreck stülpte ich mir den Karton über den Kopf, ging in die Knie, auf den Boden und sprang nach kurzer Schockstarre hoch und in die Hose. Da stand er auch schon im Türrahmen.
„Perfekte Schweißnaht“, sagte Plattenmann und zeigte auf mein Hinterteil. „Das ist eine Lötnaht“, sagte ich. − „Macht das einen Unterschied?“, fragte er. − „Macht es einen Unterschied, wenn ich ,Ostsee’ sage, aber den ,Isenhagener See’ meine“, fragte ich zurück. − „Alles ist relativ“, kofferte er.
Blöde Antwort, dachte ich und dass wir es sicher nicht mal mehr über die Jauchekuhle von Onkel soundso schaffen würden. „Irgendwie bin ich müde, jammerte ich.“ − „Du bist sicher nur benebelt vom Terpentin“, beruhigte er mich und sagte, dass er das Gefühl hätte, sogar mein Atem würde nach Malmittel riechen. Ein Kompliment? „Kommst du mit zum Eishockey?“, fragte er. Ich mochte das Geräusch an die Banden knallender, gepolsterter Männer und sagte: „Klar.“ Wir fuhren in seinem 320er-BMW ins Aue-Stadion und zogen unterwegs ungesundes Zeugs durch einen Duschschlauch. Im Stadion schob Plattemann, der eigentlich Jörg oder Wolfgang oder Frank hieß, seine Hand unter meinen Hintern, zur Esso-Tüte.
Oder war das mit der Hand Einbildung? Ich guckte stur geradeaus auf das Spiel, denn hätte ich meine Einbildung kommentiert, hätte Jörg seine Hand womöglich weggezogen. Und wäre seine Hand gar nicht dort gewesen, wo ich sie vermutete, käme mein Kommentar bei ihm womöglich wie ein plumper Baggerversuch an. Ob man von Plastiktüten Schwitzehände bekam? Ich beugte meinen Oberkörper nach vorn. Wolfgang fragte, ob ich etwas verloren hätte. Ich grinste und wusste genau, dass ich dämlich aussah, weil mein Mund trocken war und meine Oberlippe auf den Zähnen festklebte. Ich zog sie wieder über meine obere Zahnreihe. Eishockey finde ich uninteressant, wollte ich gerade sagen, da schrie Frank „Tor“.
Viel anders als Fußball war das hier auch nicht, nur, dass ich beim Fußball die Regeln kenne und mir die Spielernamen merken kann. Aber was sind schon Namen?
Textveröffentlichung samt Vignette in der Printausgabe der Berliner Zeitung, Feuilleton/Unterm Strich am 4. Mai 2012