Mittwoch, 21. Oktober 2015

Applaus (I): Der Beifall der Anderen

Mein Händeklatschen hört sich an wie von weit her.
Ich klatsche, weil der Hund nicht kommt. Der Hund sitzt unter einer Landmaschine, springt auf das Trittbrett, wieder herunter, läuft einmal um das Ding herum, guckt nach oben und dann in die Ferne, dort könnte sich jemand nähern, ob er deshalb zu mir kommen soll?
Er läuft noch einmal um die Maschine, blickt zu mir und sprintet los. Ich klatsche in die Hände, der Hund wird schneller. Ich renne los und klatsche dabei. Auf halber Strecke überholt der Hund mich. Ich klatsche.

Anfang des Jahres bewarb ich mich um eine Ausschreibung, deren Thema mit »Autopoiesis« angeben war. Selbsterschaffung und Erhaltung von Systemen, denen eine Zerstörung vorangeht (gehen kann, wichtig ist der Prozess), das eine bedingt das andere, nirgendwo ein Schlussstrich. Ganz normale Kunstproduktion also, wird manchmal zerstört, ist manchmal ohne Bestand, vieles ist zur (oder nur) Erinnerung und immer gibt es etwas Neues. Fass ohne Boden und und und, so meine Interpretation.
Oder?
Ich begann Kunstmessekataloge, die ich in den letzten Jahren gesammelt hatte, auf quadratisches Format zu schneiden. Aus den einzelnen Seiten faltete ich Module, die ich zu planetenhaften Objekten zusammenfügte – ein neues Universum entstand. Vorher und dabei jedoch war ich schier am Verzweifeln, saß stundenlang daran, aus den einzelnen Modulen, die selbst aus vielen Faltungen bestanden, ein großes Ganzes zu schaffen.
Das ist also Demut, dachte ich.

Mein Atelier befindet sich an einem der sichersten Orte hier in dieser Stadt: Blicke ich aus dem Auge des Hauses, schaue ich auf die Nordkoreanische Botschaft und dass sich im hinteren Gebäudeteil noch Büros vom BND befinden, weiß ich, obwohl ich dorthin keinen Zugang habe. Überwachungskameras an und Stacheldraht auf dem Gebäude, das 1913-16 vom Architekten Bodo Ebhardt erbaut wurde und das dann ab 1950 mal das Haus der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische-Freundschaft gewesen ist. Mein Atelier ist in der ehemaligen Küche (darüber schrieb ich hier bereits, fast alles gekachelt, vor mir 25 Jahre nicht in Benutzung).

In den ersten Monaten nach meinem Umzug hierher fühlte ich mich ständig beobachtet, und obwohl das Atelier wie eine Burg ist, traute mich kaum, mir meine Malklamotten anzuziehen oder zu popeln. Manchmal gruselte ich mich. Irgendwann war mir das egal, man kann sich an vieles gewöhnen. In diesem Sommer arbeitete ich in Unterhose. Ob man sich an alles gewöhnen kann?

Als ich im März an den Faltungen saß, kam das Gefühl, beobachtet zu werden, wieder: ich spürte herablassende Blicke aus Nordkorea, weil ich das Zusammenfügen der Module nicht hinbekam, Stimmen säuselten: Sogar dazu sind die Deutschen zu blöde, nicht mal Falten können die, das haben die nun von ihrer bescheuerten Demokratie, haha, bei uns können das sogar die Kinder!

Durch die dicken Wände über die Flure hinaus drängten sich dann auch noch unverkennbar deutsche Stimmen in mein Atelier hinein: Was macht die denn da, hat wohl zuviel Zeit, Künstlerin, dass wir nicht lachen, wie unwichtig!

(Na, dann braucht ihr ja auch nicht hören und gucken, haltet einfach eure Klappe. Oft werde ich gefragt, woher ich meine Motivation und Disziplin nehme, vielleicht sind es diese Stimmen, dies aber nur am Rande.)

Ich tat mich schwer, und dann kam auch noch der Ehrgeiz. Fast hatte ich den verloren geglaubt. Und nicht nur den.

Immer wieder von vorne anfangen, Einzelteile zu einem Ganzen fügen, Selbstmotivation hin und her und dazu die Stimmen. Toll. Was mache ich hier?

Nach viel Frickelei und unzähligen Neustarts wurden aus Modulen Objekte.
Eifriges Klatschen kleiner Hände, Grinsegesichter vor meinem inneren Auge. Der Beifall der Nordkoreaner: Jetzt hat sie es!!!
Dann noch langsames, dumpf- überraschtes Applaudieren vom BND dazu: Ach, das wollte sie.
Die Dinger sehen ja aus wie Planeten.

Doch die Planeten waren ja nicht mein Ziel, nur der Anfang von etwas Neuem: Mit Kugelschreiber (und Bleistiften) konstruierte ich die Objekte auf dem Papier nach, um sie dann so zu zeichnen, als seien es Planeten, die zu einem fernen Universum gehören. Ein Lichtjahr ist Nichts. Aus den Zeichnungen soll eine Publikation entstehen. Und dann von vorn.
Zur Erinnerung: Dieses neue Universum aus Objekten, die zu Zeichnungen wurden und das ich »Was bleibt. Modulare Verwertungssysteme« genannt habe, waren also mal Kataloge der art Basel und art cologne, Kunstforum international u.a. und aus der dort publizierten Fremdkunst wurde meine eigene – im doppelten Sinn.
In die der anfangs genannte Ausschreibung folgende Auswahl für die Ausstellung schaffte es mein modulares Verwertungssystem nicht. Zerstörtes System.

Jeder Blick auf die noch nicht entsorgten Objekte erinnert mich aber an den Applaus von kleinen und großen Händen und außerdem daran, dass man alte Kunstmessenkataloge auch einfach in die Papiertonne schmeissen könnte, wenn man sich davon trennen will – so nehmen sie mindestens das 20-fache an Platz weg und ziehen einen Rattenschwanz neuer Arbeiten nach sich. Der Karton mit den leeren Kuliminen erinnert mich an die Zeichnungen (denen dann ja noch die Kulizeichnungen «Nachrichten aus dem Paradies« folgten..., ach ja: zu den Tonkartoncollagen fiel mir auch noch etwas anderes ein, bald mehr dazu...), die ich mittlerweile weggepackt habe und fast vergessen hätte, wären da nicht die Planeten, die im Atelier von der Decke baumeln.
Wie war das gleich mit der Selbsterschaffung und Erhaltung von Systemen und deren Prozess?
Mehr zum Klatschen in Kürze.

Blog-Archiv