Die Exponate sind historische oder aktuelle Architekturmodelle, Kunst, studentische Abschlussarbeiten oder Ergebnisse von Workshops, in denen Kinder und Jugendliche ihre eigenen Vorstellungen von Stadt umgesetzt haben. Manche Modelle wurden realisiert, manche bleiben Fiktion, manches ist schon wieder abgerissen worden und verschwunden.
Realstadt heißt die Ausstellung, die ich in dieser Woche besuchte.
Die Badeanstalt, die ich in der Ausstellung fotografierte, stellt eine einmalige Synthese aus Augsburger Puppenkiste und David Hockney dar. Sie wurde von der Künstlergruppe Cybercity mit Schülern der 9. Jahrgangsstufe der Dortmunder Anne-Frank-Schule im Maßstab von zirka 1:50 erfunden.
Die hyper-echt wirkende Ansicht des Ostteils von Berlin stammt aus der Zeit, in der die Stadt noch geteilt war. Eine ganz besondere Stätte sticht hier heraus. Ob die tatsächlich real ist oder war, wie die anderen Häuser und Gebäude des Modells? Was isn das? Eine Mupfel aus Titiwu, in der die Bürger durchleuchtet wurden? Auf meine Frage, die ich einer der Ausstellungsaufsichten stellte, gab es keine Antwort, eine Vermutung bloß, die nachvollziehbar ist: Im Stadtmodell fehlte beim Aufbau der hier gezeigten Ausstellung ein Gebäude. Die Brotdose fungierte als Platzhalter, blieb dort – einfach vergessen oder als humoriger Punkt bewusst gesetzt. Nun leuchtet sie taubenblau inmitten der Stadtansicht, so als wäre es in Wirklichkeit so – oder so gewesen.
Der Künstler J. Michael Birn hat in dem Modell mit der Nummer 421 eine Ansicht des Berliner Lustgartens entworfen, die ich mich an Robert Harris Roman „Fatherland“ erinnerte und an die utopische Kulisse Berlins, die Harris darin beschrieb.
J. Michael Birn hat seine eigene Utopie des Berliner Lustgartens im Jahr 2057 gebaut und bemalt („A Question of Lust – Der Berliner Lustgarten a.d. 2057“), ein paar Fahrzeuge stehen herum in diesem öden, menschenleeren und großartig-gruseligen Szenario.
Jens Reinert setzt Unterführungen, Tiefgaragen, Treppenhäuser und Tunnel täuschend echt en miniature um. Allerdings: en miniature klingt so niedlich und zierlich und das ist bei den Objekten, die der Künstler schafft, falsch. Zwar scheinen seine Werke Verkleinerungen der Wirklichkeit zu sein, steht man jedoch davor, verschwindet diese Verkleinerung. Die Objekte entwickeln einen starken Sogreiz. Sie haben Öffnungen, in die man hingucken kann, man möchte hineinkriechen – und dann lieber doch nicht. Keine Ahnung, was einen erwarten würde. Es bleibt der Glaube zu wissen, dass der Künstler die unsichtbaren Innenteile seiner Kunst genauso genau gefertigt und bemalt hat, wie die sichtbaren Innenteile.
Zirka 250 Modelle von Städten und Stätten und 65 beispielhafte architektonische Projekte sind in der alten Turbinenhalle in der Köpenicker Straße 70 auf gut 8000 qm zu sehen. Die Ausstellung ist auf zwei Etagen verteilt. Den oberen Teil der Ausstellung erreicht man über eine Alutreppe, die man auf Baustellen verwendet und auf deren Stufen typischer Baustellendreck zwischen und auf den Stanzungen knirscht.
Gegenüber dem aus roten Getränkekästen aufgebauten Café sind die diversen Verpackungen der ausgestellten Modelle deponiert. Ordentlich gestapelt fügen sie sich unter Pfeiler und Decke ein, so als gäbe es ihren eigentlichen Zweck nicht.
Realstadt – Wünsche als Wirklichkeit,
im 1961 errichteten Kraftwerk in der
Köpenicker Straße 70, das seit 1997 nicht mehr in Betrieb ist.
Öffnungszeiten täglich 10 bis 20 Uhr.
Die Ausstellung läuft bis zum 28.11.2010.
Ein Katalog erscheint zum Ausstellungsende hin.
Wichtig: Viel Zeit mitbringen!