Liegestützen mit Distel
Hinter meinem Haus grast eine Herde Schafe, die sich im Schilf vor der aufsteigenden Sonne versteckt. Ein leises Rascheln und Grillengezirpe sind die einzigen Geräusche, die in meine Ohren dringen. Die Äpfel des Baumes links sind klein und grün. Am Frühstückstisch stürzen sich Wespen auf die selbst gemachte Marmelade der Mutter. Ich puste Zigarettenqualm hinein und reibe mir Insektenschutzmittel über die Sonnencreme.
Die Stille des Landes mag ich nicht, kann ich nicht aushalten, das Rauschen des Schilfs und das der etwas entfernteren Erlen macht mich wahnsinnig. Ich lege den Kopf in meine Hände und höre auf die Stimme, die aus meinem Walkman kommt. Die singt irgendeinen Satz mit "so much lighter".
Bloß weg hier. Ich gehe den kleinen Abhang hinunter auf den Rasen und versuche meinen Körper mit gymnastischen Übungen auf den Lauf vorzubereiten. Rückenstärken mit Liegestützen, in meine rechte Hand sticht eine Distel, die ich im Grünen übersehen habe.
Aus dem Haus nebenan laufen Kinder an das Gatter der Schafe, wollen sie füttern, die Schafe lassen sich nicht blicken, die Kinder essen die trockenen Kekse selber und schreien mir fröhlich zu: "Heute fahren wir nach Berlin."
Ich zupfe mein Top zurecht, streife ein Schweißband über mein rechtes Handgelenk und laufe los. Vorbei an sauber gefegten Einfahrten, Fischräuchereien und Ferienwohnungen. Einen Berg hinauf, auf Schildern Ermahnungen, nicht zu rauchen, andere zeigen ein rotes Eichhörnchen, welches den Weg zu einem Wanderrundweg kennzeichnet. "Cold water", singt Damien Rice. Schweiß läuft mir die Stirn herunter, obwohl ich erst seit fünf Minuten unterwegs bin. Ich renne an einem Plattenbau vorbei, der sich hochragend in die Dorfstruktur eingefügt hat. Ob dort noch Menschen leben? An einigen Fenstern sehe ich Vorhänge, vielleicht sind die aber auch nur Tarnung.
Beim Laufen gebe ich einen grunzenden Laut von mir. Eine ältere Frau, die am Versorgungswagen des Bäckers steht – der Bäckerwagen kommt alle drei Tage hier in das Dorf, man kann dort Zeitungen der frischen Vergangenheit kaufen, wenn man sie vorbestellt hat –, guckt mich irritiert an und fängt an zu lachen. Ich grinse zurück, winke zum Gruß und laufe in Richtung See. Der Feldweg ist staubig, die rechte Seite ist mit Bäumen und Sträuchern bepflanzt, da laufe ich, um mich vor der Sonne zu schützen.
Auf der Hälfte des Weges, der zum See führt, die Bahnbrücke über mir. Dahinter ein vertrockneter Rasenplatz, auf dem Volleyballnetz und Fußballtore aufgebaut sind. Etwas weiter parken Autos.
Keine einheimischen Kennzeichen dabei. Ich biege rechts ab, passiere die kleine Schranke und bin am Seeufer angelangt. Menschenleer. Ich pelle mir die Klamotten von der nass geschwitzten Haut, lege sie auf meinen Walkman – halte ich die Stille aus ohne Musik? – und stopfe meine Sonnenbrille in die Turnschuhe.
Was will ich hier? Ich hasse es, zu schwimmen, denke ich, als ich in den See steige, vorsichtig zuerst, dann laufe ich und ekle mich vor den Algen, die an meinen Füßen kribbeln. Ich tauche mit dem Kopf unter Wasser, verliere für einen Moment die Orientierung. Ein angenehmes Gefühl, das kühle Wasser, muss ich mir eingestehen, wundere mich darüber und drehe mich auf den Rücken.
Ich paddle in die Richtung eines Stegs, der aus dem Schilf herausragt, stütze mich mit den Armen hoch. Langeweile ist kein produktives Gefühl. Die Stille könnte mein Tod sein, denke ich und bekomme einen Lachanfall. Ich kugle mich auf den Bauch vor Lachen, japse nach Luft und lasse mich wieder ins Wasser fallen. Eine große Stechfliege hat sich in meiner Schulter fest gesaugt, als ich sie herausziehe, rinnt ein kleiner Blutbach ins Wasser. In geringer Entfernung sehe ich einen exotischen Vogel schwimmen, kann ihn nicht genau erkennen, sehe nur die etwas seltsame Farbzusammenstellung seiner Federn, rot-orange, ganz ruhig schwimmt er da, lässt sich durch mich nicht irritieren. Ein Grund, ihn zu bewundern?
Ich schwimme zurück und krabbele an die Uferstelle, an der ich mein Sportzeug abgelegt habe, immer noch kein Mensch außer mir hier. Bevor ich mir die Schuhe wieder anziehe, setze ich meine Brille auf und blicke auf den See. Auf dem Wasser treibt eine leere Chipstüte.