Donnerstag, 20. Januar 2011

Jubiläum (I)

Begonnen hat alles mit einer Kolumne, die ich über mein heimatliches Schützenfest schrieb. Das war im Jahr 2000. Seitdem folgten viele weitere Texte und Kolumnen, die die Berliner Zeitung von mir veröffentlichte. Unterm Strich heißt die Rubrik für die ich schreibe - zumeist wird auch eine Vignette oder Zeichnung von mir in diesen Texten abgedruckt. Der Text „Ein Anfang“ vom 19.1. 2011 ist meine 100. Veröffentlichung im Feuilleton der Berliner Zeitung. Ein Grund zu feiern!!!
Mein Dank gilt hier an dieser Stelle der Feuilletonredaktion der Berliner Zeitung für die gute und langjährige Zusammenarbeit.
Anfang
Ich höre Dämonen quäken

Das alte Jahr hatte sich davon geschlichen, das neue nahm ich wie in Zeitlupe in einer Blase sitzend wahr. Ein Anfang wie eine Grippe, die sich irgendwo im Körper festgezurrt hat, Symptome nur, auf die man wartet, und hofft, dass sie endlich klärend herausbrechen mögen.
Ich stand in einer multikulturellen Schlange, die bis in das Treppenhaus reichte. Die Arztpraxis war voll. Eine klapperdürre Frau mit trockenpflaumigem Gesicht hustete. Nikotin-Patina lagerte sich auf meinen Nacken ab, der Mann vor mir pulte an einem Ekzem neben seiner Nase, andere konnten nicht mehr stehen und hatten sich auf die schmierigen Stufen gesetzt. Keuchen, Schnaufen, Rasseln, Schorf überall.
Ich zog meine Mütze tief in die Stirn, klappte die Ohrenschützer hinunter. Sehr langsam näherte ich mich der Anmeldung. Ich war das erste Mal hier. Die Sprechstundenhilfe konnte meinen 50-Euro-Schein nicht wechseln und klemmte ihn mit einer Büroklammer an die Chipkarte, die erst später eingelesen wurde. Ich wollte protestieren, ließ es sein, vier Monate hatte ich auf diesen Termin gewartet, scheiß aufs Geld. Zum wiederholten Male die frustrierte Stimme der Assistentin in die Menge hinein: Ohne Termin beträgt die Wartezeit mindestens fünf Stunden. 
Allein das Atmen fiel hier schwer. Toller Jahresbeginn.
Die Ärztin, die mich aufrief, trug eine Perlenkette über dem Rollkragenpullover und war sehr klein und stark erkältet. Was mein Problem sei, blaffte sie für meinen Geschmack etwas zu barsch. Ich riss die Augen auf, um das nahende Wasser zu unterdrücken und kramte in meinem Beutel nach dem Notizbuch, in dem ich meine Beschwerden aufgeschrieben hatte. So war ich in der Lage, auch bei akuter Maulsperre wichtige Informationen abzuspulen. Wie in Trance tat ich das.
Die Ärztin stand auf, umkreiste mich einige Male und fragte ob ich Leichenfinger hätte. Häh? Weiß und wächsern, wisperte sie. Nein, niemals!, erschrak ich. Sie warf einen Blick auf meine Schuhe und sagte laut deren Markennamen. Zufrieden mit denen? Die besten die ich jemals hatte, sagte ich, ein Geschenk von C., fügte ich in Gedanken dazu.
Sie klopfte an mir rum und füllte dann Überweisungsscheine aus. Ich hoffe mal, es ist nichts Lebensbedrohliches, munterte sie mich zum Abschied auf und ich bekam die Adresse eines weiteren Spezialisten. Tatsächlich konnte ich sofort für nachmittags den nächsten Termin ausmachen.
Doch vor dem kam die Angst. Eine letzte Zigarette. Mir wurde schwindelig. Ich schleppte mich ins Bett, schloss die Augen. Warum wurde es nicht dunkel? Ob dass das Licht war, von dem immer geredet wird, wenn es zu Ende geht? Und was waren das für Töne? Etwa Wir sind Helden? Mir wurde schlecht. Ich kroch zum Telefon und rief B. an: Ich hab was Schlimmes, und ich höre Dämonen quäken. Dämonen?, fragte sie ungläubig.
Ein indischer Taxifahrer hat J. erzählt, dass Dämonen immer gegenwärtig sind, wenn auch unsichtbar. Er wollte ihr eine spezielle Kamera verkaufen, durch die man sie sehen kann. Und ich sehe jetzt einen Dämonen - ohne Kamera, jammerte ich und dass der Dämon sich an meinem Schreibtisch breitgemacht habe, laut und schräg "Halleluja" singe und dazu mit seinen fünf Ärmchen alles durcheinander bringe. Zwar verhunze er den Cohen-Song nicht so schlimm, wie Wir sind Helden 2004 bei der taz-Party, aber wenn es nach mir ginge, durfte das Lied sowieso nur von Jeff Buckley gecovert werden, der übertrifft sogar das Original. Warum die dummen Helden sich daran gewagt hätten, weiß der Teufel, meine Freundin R. war auch ganz entsetzt gewesen, fing ich zu schimpfen an. Und jetzt auch noch der Fünfarmige auf meinem Schreibtisch, ich halt's nicht aus.
B. schwieg. Du spinnst, lachte sie dann und dass ich mich bloß schleunigst untersuchen lassen sollte, los ab, sonst würde der Termin hinfällig werden. Kurz darauf stolperte ich aus dem Haus. Der Spezialist in der Praxis teilte mir später mit, alles sehe gut aus und wie es sein soll. Als ich auf die Straße hüpfte, sprang ein spilleriges Wesen mit fünf Armen vor einer Straßenlaterne herum. Der Dämon aus meiner Wohnung! Er sang nun "creep", seine Variante lag irgendwo zwischen Radiohead und Damien Rice. Das war der Anfang.

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